Der Preis des Octagon

Mixed Martial Arts - German Shooto Championships 2023. Am 9. Dezember 2023 kamen 50 Athleten aus ganz Deutschland und dem Ausland im German Top Team Performance Center in Herrenberg zusammen, um sich im Octagon im Kampf von Mann gegen Mann, Frau gegen Frau zu messen. Ich (Caroline Gramsch) war vor Ort, um Fotos und Videos von den Kämpfenden zu machen. Was ich mit nach Hause genommen habe, waren jedoch nicht nur die Aufnahmen, sondern unzählige neue Fragen.

„Ich mach das nicht. Ich mache kein MMA, denn ich will niemanden schlagen und erst recht nicht aufs Maul bekommen.“, höre ich mich schon wieder sagen. „Ich geh seit drei Monaten ins Grappling, das ist wie Brazilian Jiu-Jitsu aber ohne den Gi. Sagt dir das was? Nein? Grappling ist ein bisschen wie Ringen nur mit weniger Würfen und mehr auf dem Boden rumrollen. Wie Rangeln mit Regeln, man darf nicht schlagen, nur würgen.“

Schau einer an, sie tut es schon wieder. Ich relativiere den Sport, den ich mache und versuche, mich und meine Person von dem Sport, den ich fotografiert habe, zu distanzieren.

Christiana Mouzouridi (89 MMA - BJJ Globetrotters) bei den Shooto Championships 2023

Im Text: “[…] Der erste Kampf wird angesagt. Die Stimmung kippt. Nun ist es Aggression, die die Luft fühlt, doch es sie ist anders als jede Aggression, die ich zuvor erlebt habe.”

Es ist mein erster Shooto Wettkampf, den ich besuche. Ich bin aufgeregt, als ich an diesem Samstagmorgen die hohe, schwarz gestrichene Halle betrete. Alles ist anders, als ich es bisher auf anderen Wettkämpfen erlebt habe. Es ist… ruhiger. Im Powerlifting habe ich Menschen erlebt, die mit den Füßen über den Boden scharren, die beinahe apathisch in der Ecke sitzen und mit den Köpfen wippen. Sprunghafte Aggression, die darauf wartet, entfesselt zu werden. Aber an diesem Morgen ist alles, was ich spüren kann eine angespannte Ruhe. Eine gute Halbestunde später betreten die Zuschauer und Zuschauerinnen die Halle, die Kampfrichter nehmen ihre Plätze außerhalb des Octagons ein und der Referee steigt in den Käfig. Der erste Kampf wird angesagt. Die Stimmung kippt. Nun ist es Aggression, die die Luft füllt, doch es sie ist anders als jede Aggression, die ich zuvor erlebt habe. Sie ist näher an der Angst, ihr Herz klopf bis zum Anschlag und man muss tief durchatmen, um sie tragen zu können. Ohne Fokus und Kontrolle wird Aggression schnell zu Angst und Panik. Es ist die unkontrollierte Aggression, die zu Verletzungen und Schmerzen führt. Aber vielleicht bin auch nur ich es, die Angst hat. Ich betrete den Tunnel, mein Herzschlag wird zu einem Flattern und ich blicke durch den Sucher meiner Kamera.

Arif Aydogdu - MMA Team Minotauros

Der Kampf beginnt und ich bin auf einmal mittendrin. Schon klar, ich bin nicht in dem Käfig, aber ich renne um ihn herum, immer ganz nah an dem Gitter und auf der Suche nach dem nächsten Motiv, dem nächsten Moment. Es sind Momente voller Aggression, voller Kraft, voller Konzentration und Verzweiflung, die am schnellsten sichtbar werden. Doch es sind die Momente, die danach zum Vorschein kommen, die mich am meisten berühren. Momente voller Erschöpfung, Erleichterung, Tränen und Schmerz. Schmerz und Glück liegen sich an diesem Tag in den Armen und erst wenn das Adrenalin langsam abebbt, wird sichtbar, wie hoch der Preis ist, den die Kämpfer an das Octagon zahlen. Sie begleichen ihn mit Schmerzen, mit Emotionen und ihrem Körper. Sie kämpfen für den Kampf selbst und für das, was sie gewinnen, wenn sie mit ihrer Angst und ihrer Wut in den Käfig steigen.

Ich habe aufgehört, Freunden und Familie die Bilder von diesem Tag zu zeigen. Warum? Weil die Bilder den Menschen Angst machen. Sie fragen mich, wie ich mir das nur anschauen kann und erzählen mir, wie schrecklich sie das finden, was sie über Kampfsport wissen. „Ich würde niemals mit MMA anfangen“, verspreche ich meinen Eltern und weiß dennoch, dass ich so etwas nicht versprechen sollte. Aber auch ich stelle mir Fragen. Ist es in Ordnung, von Blut und Gewalt Fotos zu machen, um diese dann an die Kämpfer zu verkaufen? Was ist mein Anspruch an meine Arbeit, zu welchem Zwecke drücke ich auf den Auslöser? Es ist nicht nur das Geld, es ist der Rush, der Flow, der mich zu solchen Veranstaltungen treibt. Denn auch wenn ich selbst nicht kämpfe, so erlebe ich doch einen ähnlichen Glückszustand, ein Gefühl des absoluten Fokus, sobald ich meine Kamera einschalte. Auch ich war tagelang erschöpft. Natürlich kann man meine Arbeit nicht auf eine Ebene stellen mit dem, was die Athleten an diesem Tag opfern. Ich kann nicht sagen, ob ich mir den Kampf ansehen könnte, wenn es mein Freund, mein Bruder oder meine Schwester wäre, die geschlagen wird und selbst bis aufs Blut zuschlägt.

Zeljko Migles (LA Courage) bei den Shooto Championships in Herrenberg

Im Text: “Sollte man Gewalt fotografieren? Ich denke ja. Es ist ein schmaler Grat, auf dem wir Fotografen wandeln. Links und rechts von uns ein tiefer Abgrund, in den wir stürzen, wenn wir uns unserer Verantwortung nicht bewusst sind.

Neben den Fragen in meinem Kopf und auf dem Papier gibt es noch etwas anderes, was ich mit nach Hause nehme. Respekt. Respekt für das, was diese Menschen an das Octagon opfern, Respekt für die Arbeit und das Training, das sie in diesen Sport investieren. Ich habe gesehen, wie sich die Kämpfer weinend in die Arme geschlossen haben, wie Trainer in den Käfig geklettert sind, um ihre Athleten in die Luft zu heben und wie Väter und Mütter ihren verschwitzten und blutenden Kindern nur durch ihre Anwesenheit Mut gemacht haben. Ich habe gesehen, wie sich die Athleten gegenseitig aufgefangen haben, nachdem sie nur wenige Sekunden zuvor aufeinander eingeschlagen haben. Denn der Preis des Octagons ist zu hoch, als dass man ihn allein tragen kann.

Sollte man Gewalt fotografieren? Ich denke ja. Es ist ein schmaler Grat, auf dem wir Fotografen wandeln. Links und rechts von uns ein tiefer Abgrund, in den wir stürzen, wenn wir uns unserer Verantwortung nicht bewusst sind. Wir müssen die Gewalt einordnen, müssen die abgebildete Aggression kontrollieren können. Bilder wirken unmittelbar, sie rufen affektive Reaktionen hervor, die wir nur mit Worten und dem Kontext, in dem die Bilder entstanden sind, auffangen können. Worte und Bilder sind viel zu mächtig, um sie leichtfertig einzusetzen. Gelingen wird es uns nicht immer.

“To photograph people is to violate them, by seeing them as they never see themselves, by having knowledge of them that they can never have; it turns people into objects that can be symbolically possessed. Just as a camera is a sublimation of the gun, to photograph someone is a subliminal murder - a soft murder, appropriate to a sad, frightened time.” – Susan Sontag, On Photography

Mehr visuelle Eindrücke zum Artikel gibt es bei Whitebelt Photography auf Instagram.

Mehr zur Fotografin & Autorin Caroline Gramsch.

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